In deiner Geschichte geht es um eine Jugendliche, die klaut. Wie kamst du auf diese Idee?
Katja Alves: “Die Frage nach der Idee ist immer die fieseste. Aber die Idee ist naheliegend. Ich glaube, die meisten Menschen verfügen zumindest über ein bisschen kriminelle Energie und führen im Kopf ab und zu das eine oder andere kleine oder grosse Vergehen aus. Esme fühlt sich schlecht behandelt und verspürt das Bedürfnis, es ihren Widersachern irgendwie heimzahlen. Auch das kommt vor. Man will keineswegs, dass der anderen Person ein echter Schaden zugefügt wird, sondern man möchte ihr einfach ein bisschen eins auswischen. Esme legt dafür eine „Trophäen-Box“ an.“
Diese Box füllt sich im Laufe der Geschichte immer mehr …
„Ich selber hatte auch so eine Trophäen-box, als ich so alt war wie Esme. Ich sage jetzt aber nicht, was ich darin gebunkert hatte. Nein, wenn ich mich recht erinnere, waren es bei mir eher kleine Sachen wie Glücksbringer, Postkarten, Autogramme und halt solche Geschichten. Aber Erwischt! ist eigentlich auch keine Geschichte über eine Diebin oder über Jugendkriminalität, sondern es geht darin vielmehr um eine ziemlich normale Oberstufenschülerin und die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert wird.“
Die erste Liebe, das Ablösen von zuhause, die Berufswahl …?
„Richtig! Und vor allem auch um die Berufswahl! Mit vierzehn haben doch die wenigsten Jugendlichen einen Plan, was aus ihnen werden soll. Welche Ausbildung, welcher Beruf der richtige sein könnte. Und trotzdem ist der Druck da, sich bald entscheiden zu müssen. Dazu kommt, dass viele Eltern hohe Erwartungen an ihre Kinder stellen. Es wird unermüdlich nach Talenten und besonderen Begabungen geforscht, damit kann das Unbehagen, das Gefühl nicht zu genügen, noch zusätzlich verstärkt werden.”
Esme, deine Protagonistin, ist eine ganz normale 14-Jährige …
„… und jemand, der eigentlich nicht im Rampenlicht steht – und gerade deshalb habe ich sie zur Protagonistin gemacht! Ich wollte den Fokus auf eine ganz normale Jugendliche richten. Denn es ist doch völlig okay, durchschnittlich zu sein. Und jeder sollte darauf vertrauen, dass er seinen Weg finden wird. Dafür braucht es weder einen Sieg bei einer Castingshow noch ein Superzeugnis … Esme ist einzigartig. Aber eben auf ihre ganz spezielle Art. So wie es ganz viele Jugendliche sind.”
Esme hat portugiesische Wurzeln wie du, auch du hattest eine „Trophäenbox“ – wie viel von dir steckt in Esme? Wie ähnlich seid ihr euch?
„Ja, Esme ist Portugiesin. Aber abgesehen von den beiden genannten Beispielen gibt es, glaube ich, nicht mehr viele weitere Gemeinsamkeiten (lacht). Es war für mich naheliegend, dass Esmes Eltern aus Portugal kommen. Warum? Weil es in der Schweiz ganz einfach sehr viele Menschen gibt, die aus Portugal zugewandert sind. Deshalb gibt es auch in sehr vielen Klassen Kinder mit portugiesischen Eltern, und aus diesem Grund ist es wiederum ganz natürlich, dass Esme Portugiesin ist. Gut, ihre Eltern könnten auch aus Griechenland, dem Balkan oder der Türkei stammen. Aber da spielt wohl wiederum meine Herkunft eine Rolle. Esmes Welt mit ihrer portugiesischen Familie ist mir vertraut.“
Kommt diese Realität in der Schweizer Jugendliteratur zu wenig vor?
„Das kann ich nicht beurteilen, ich habe das noch nie überprüft und kenne auch nicht die gesamte Schweizer Jugendliteratur. Sicher ist jedoch, wenn man Jugendliche mit Büchern begeistern möchte, sollte man ihre Lebensrealität aufzeigen. Und dazu gehört auch die Erfahrung, in einer multikulturellen Gesellschaft aufzuwachsen.”
Du schilderst in „Erwischt!“ den Alltag der YouTube-Generation total realistisch. Wie ist es dir gelungen, diesen Ton zu treffen?
(Lacht): „Danke für das Kompliment. Gut, es war mir wichtig, die Gefühle, Gedanken und Fragen, die 14-Jährige beschäftigen, möglichst echt rüberzubringen. Bei jeder Geschichte, die ich schreibe, versuche ich, mich in die Protagonisten hineinzuversetzen. Dazu gehört auch, dass ich mich intensiv mit deren Lebenswelt beschäftige. Das fällt mir nicht schwer. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Außerdem war es spannend mir auf YouTube Influencer-Filmchen anzusehen. Sehr faszinierend. Aber was die Sprache betrifft, verzichte ich auf eine aufgesetzte Jugendsprache. Erstens weil mir das nicht entspricht, zweitens weil sich diese Sprache auch ständig verändert. Ausdrücke, die man jetzt vielleicht auf den Pausenplätzen hört, benutzt in einem halben Jahr schon kein Jugendlicher mehr.
Jugendliche lesen immer weniger, heisst es heute oft. Belastet dich das als Autorin?
„Ich sehe das jetzt nicht so pessimistisch. Zumindest lesen die Jugendlichen unermüdlich instagram captions, das ist doch auch schon mal was!“
Aber da stehen die Fotos im Fokus, die Texte sind sehr kurz …
„Trotzdem glaube ich, dass es immer ein Bedürfnis nach guten Geschichten geben wird. Es werden immer noch grandiose Jugendbücher veröffentlicht, die junge Menschen zum Lesen bringen. Aber sicher stehen wir Erwachsene heute noch mehr in der Verantwortung, Jugendlichen lustvoll Zugänge zum Lesen und Schreiben zu eröffnen. Aus meiner Sicht sind gerade Begegnungen mit Autorinnen und Autoren dazu eine gute Chance. Ich gebe auch verschiedentlich Schreibwerkstätten für Kinder und Jugendliche. Im Unterschied zu einer Schullesung besteht hier noch mehr die Möglichkeit auf die Schülerinnen und Schüler individuell einzugehen. Hingegen halte ich es für wenig sinnvoll, Texte für Kinder und Jugendliche immer mehr zu vereinfachen. Wichtig scheint mir, dass man den Jugendlichen etwas zutraut und sie fordert. Bücher sollen uns auch ein Stück weit herausfordern. Deshalb gefällt mir auch der Ansatz von da bux: Die Bücher richten sich an leseschwache Jugendliche, aber sprachlich und inhaltlich sind sie keineswegs banal.“
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