„Ich habe viel Emotionales und Schockierendes erlebt“

Interview mit Franco Supino über seine Recherchen zu „Hau ab, Bruderherz“ und seinen ganz persönlichen Bezug zu Migration.

Warum hast du „Hau ab, Bruderherz“ geschrieben? Was war deine Motivation?

Franco Supino: „Ich habe bisher erst ein Buch für Jugendliche geschrieben- „Wasserstadt“ ein 400 Seiten Roman, der eigentlich drei Geschichten in einer erzählt, ein Grossprojekt, an dem ich über 3 Jahre gearbeitet habe. Bei „Hau ab, Bruderherz“ war der Anspruch ein ganz anderer, aber ein nicht weniger hoher: der Text sollte ein Easy Reader, also eine kurze, knackige, leicht lesbare Lektüre und doch literarisch erzählt sein. Das vorgegebene (für mich verminte) Thema „Flucht“ sollte aktuell, anregend, clichefrei, authentisch und auf Augenhöhe Jugendlicher ab 12 Jahren umgesetzt werden. Ob ich es geschafft habe, meine Ansprüche zu erfüllen, werden die Reaktionen auf meinen Text zeigen.“

Das Thema Migration ist ständig in den Medien. Aber interessiert das auch Jugendliche? Worauf hast du geachtet, um das Thema auch für sie verständlich und alltagsnah zu machen?

„Ich habe mich nicht mit dem ganzen Themenkomplex Migration beschäftigt, sondern einen Moment fokussiert: den Aufbruch. Was muss passieren, damit ein 15,16 jähriger sagt: ich gehe weg, ich verlasse meine Heimat, meine Freunde, meine Familie. – Um das Ringen um diesen Entscheid geht es in meinem Text – das kann sich jeder Jugendliche vorstellen.“

Wie hast du für dein Buch recherchiert? Hattest du Kontakt mit Migrantinnen und Migranten?

„Ich habe mich intensiv mit der Situation der UMAs (Unbegleitete Minderjährige Asylsuchende) auseinandergesetzt, ich habe mit der Leiterin der Fachstelle Asyl im Kanton Solothurn gesprochen, sowie zwei Empfangsstellen für UMAs in den Kantonen Solothurn (Egerkingen) und Bern (Schwarzenbach bei Huttwil) besucht, dort mit den Leiterinnen gesprochen und den Alltag der Jugendlichen kennengelernt. Ich habe viel Emotionales und Schockierendes gehört und miterlebt. Mir wurde bewusst, was es heisst: Nur die Stärksten schaffen es bis in die Schweiz. Ich begriff, dass die Jugendlichen mir nicht primär ihre Erlebnisse erzählen, sondern mit mir darüber reden wollten, ob es für sie in der Schweiz eine Zukunft gibt. Deshalb sind sie geflohen, nicht weil sie ein Abenteuer gesucht haben. Die Gier nach ihren Erlebnissen ist beschämend.“

Was möchtest du mit deinem Buch erreichen?

„Ich möchte, dass die Jugendlichen sich die Frage stellen: Wie muss eine Welt aussehen, bei der ein junger Mensch beschliesst zu fliehen? Und ich möchte, dass sie das von hier aus, also von der Schweiz aus tun.“

Du hast in deiner Geschichte die Realität „umgedreht“, um Jugendlichen die Augen zu öffnen:  Lässt sich das auch auf andere Alltagsbereiche anwenden?

„Es ist meine Art, als Autor an die Dinge heranzugehen. Ich frage mich immer: wo berührt mich diese Thematik.- Meine Eltern sind damals auch aus Italien geflohen, sie waren Wirtschaftsflüchtlinge, ich bin also ein Kind von Flüchtlingen. Ich habe viel mit meiner Mutter darüber gesprochen, wie es war, wegzugehen. Deshalb würde ich sagen: ich habe die Realität nicht umgedreht, sondern zu mir geholt. Literatur muss immer bei sich selber anfangen.“

„Hau ab, Bruderherz“ liegt bereits in der 2. Auflage vor!

Hau ab, Bruderherz!

Weitere Informationen und Leseprobe von „Hau ab, Bruderherz“