Tabu-Themen im Jugendbuch?

Wie geht da bux mit Tabu-Themen um – gibt es Themen, die zu heikel und damit für ein Jugendbuch “tabu” sind? Alice Gabathuler über die Verlagsphilosophie:

Als Autorin halte ich mich an ein Zitat von Ernest Hemingway: Write hard and clear about what hurts. Oder in unserer Sprache: Schreibe hart und klar über das, was wehtut. Ohne rosarote Schleifchen drumherum, ohne zu beschönigen. Dabei kenne ich bei den Themen kaum Tabus, auch nicht bei der Erzählsprache. Wenn ich schreibe, schlüpfe ich in die Haut meiner Charaktere. Einige von ihnen haben (zu) viel erlebt, einige von ihnen gehen (zu) weit, keiner von ihnen ist nur gut oder nur böse, alle sind unendlich viele Schattierungen von Grau. Dabei benutze ich beim Schreiben Wörter, die ich privat nicht aussprechen würde. Ich schildere Gedanken und Gefühle, die weit entfernt von meinen sind. Anders formuliert: Ich breche beim Schreiben öfters meine persönlichen und sprachlichen Tabu-Grenzen. Dabei gehe ich so weit, wie ich es für mich verantworten kann, doch so gerne ich beim Schreiben in seelische Abgründe schaue: Es gibt Dinge, über die ich nicht schreibe, weil ich sie kaum oder gar nicht ertrage.

Schnell, zu schnell, kann ein Text zu einem Tabuthema eine verheerende Wirkung haben.

Als Mitverlegerin von Jugendbüchern trage ich gleich eine mehrfache Verantwortung:

  • Gegenüber unseren Autor*innen
  • Gegenüber unseren Leser*innen
  • Gegenüber dem Verlag

Unser da bux Verlag besteht aus einem Team von drei Verlegern. Wir alle entscheiden gemeinsam, wie wir diese Verantwortung wahrnehmen. Wie viel Freiheiten wir unseren Autor*innen lassen (sehr viel!). Aber auch, wo unsere Grenzen liegen. So haben wir zum Beispiel (noch) kein Buch mit dem Thema Suizid in unserem Verlag. Nicht, weil das Thema für uns ein Tabu ist, sondern weil wir uns unserer extremen Verantwortung bewusst sind: Schnell, zu schnell, kann ein Text zu einem Tabuthema eine verheerende Wirkung haben, auch wenn das weder die Absicht der Autor*innen noch der Verleger ist. Nehmen wir die Gewalt als weiteres Beispiel: Da besteht die Gefahr, dass sie verherrlicht wird oder zumindest als verherrlichend empfunden wird. Es ist deshalb sehr wichtig zu zeigen, was die Gewalt bewirkt, mit all ihren Folgen für die Betroffenen. Oder: Sexualität. Wie schreiben wir über sie, ohne unsere Leser*innen vor den Kopf zu stossen oder mit moralischen Zeigefingern zu fuchteln oder dem Buch seine Botschaft wie einen Stempel aufzudrücken?

Nicht alle wollen über alles sprechen.

Wenn ich Schulklassen besuche, stelle ich fest, dass sie generell gut mit Tabuthemen umgehen können. Und dass ihre Grenzen oft ganz anderswo liegen als meine und die ihrer Lehrpersonen. Wichtig sind gute und offene Diskussionen. Das Respektieren von Grenzen der einzelnen Schüler*innen. Nicht alle wollen über alles sprechen. Und schlussendlich ist es auch ganz wichtig, dass auch die Lehrperson sich vor dem Entscheiden für eine Klassenlektüre intensiv damit auseinandersetzt, was der Text mir ihr macht und ob sie es verantworten kann, ihn mit ihren Schüler*innen zu lesen. Damit danach in der Klasse ein Rahmen gefunden werden kann, in dem über das Buch gesprochen werden kann. Denn das ist meiner Meinung nach das Wichtigste: Dass nicht nur wir Autor*innen über das schreiben, was zuweilen wehtut, sondern das auch darüber geredet wird. Mit Freund*innen, mit der Familie, in Schulklassen.