Virtuelle Lesungen – funktioniert das?

Begegnungen mit Jugendbuch-Autor*innen trotz Abstandregeln? Viele da bux-Autor*innen liessen sich in diesem Jahr auf Experimente ein, um Jugendliche fürs Lesen zu motivieren: Eine virtuelle Schullesung – funktioniert das und macht das Sinn?

«Keine simple Videoberieselung»

«Für mich stand von Anfang an fest: Virtuelle Lesungen dürfen keine simple Videoberieselung sein, quasi ein Unterhaltungsprogramm in schlechter Bildqualität. Meine erste Lesung war dann auch ein Testlauf. Kann eine Online-Lesung die Chance auf einen regen Austausch rund um das Schreiben und meinen Beruf Autorin sein, ein Eintauchen in meine Texte, ein Blick hinter die Kulissen? Dank einer tollen Klasse war die Antwort ein klares Ja. Deshalb mache ich mittlerweile regelmässig und mit viel Freude Online-Lesungen. Voraussetzung: Ich arbeite nur mit vorbereiteten Klassen. Die Jugendlichen wissen, wer ich bin, was und wie ich schreibe, und sie haben Fragen vorbereitet, die gerne auch fordernd und kritisch sein dürfen. Das führt häufig zu intensiven (virtuellen) Begegnungen mit sehr persönlichen Einblicken. Ich gestehe, ich geniesse diese Art von Lesung ungemein. Das einzig Negative: Ich bin Technikbanausin und meistens klemmt irgendwas. Deshalb ist es wichtig, dass die verantwortlichen Lehrpersonen und ich frühzeitig vor dem Lesungsstart checken, ob alles funktioniert.»

Alice Gabathuler

«Blick hinter die Kulissen»

«Bei einer virtuellen Schullesung sehen die Jugendlichen etwas, das ich sonst niemandem zeige: Mein Büro. Und das möglichst authentisch, deshalb – daran halte ich mich immer – räume ich vor der Lesung selbstverständlich nicht auf! Doch bevor ich die Kamera in die Hand nehme und ihnen meinen Arbeitsplatz präsentiere, spiele ich den Schüler*innen den Ball zu: Wie stellt ihr euch den Arbeitsplatz eines Autoren vor? Was ist dort zu finden, was nicht? Welche Atmosphäre ist wichtig, um auf gute Ideen zu kommen? Danach wird das Geheimnis gelüftet. Ich zeige ihnen, wie ich im kreativen Chaos Ideen finde, meine Notizbücher, meine Skizzen … Natürlich lese ich auch aus meinen Büchern vor, aber viel weniger als bei einer Lesung vor Ort. Stattdessen nutzen wir die Zeit, um miteinander ins Gespräch zu kommen: Die Jugendlichen dürfen mich mit Fragen löchern – und auch ich frage sie aus. Denn Begegnungen mit Jugendlichen sind für mich immer eine Chance, mehr über ihre Gedanken, Gefühle, Hoffnungen und Visionen zu erfahren. Und oft bekomme ich dabei viele neue Ideen für meine nächsten Projekte. Das funktioniert auch bei virtuellen Lesungen sehr gut 🙂 Selbstverständlich: Virtuelle Lesungen können Lesungen vor Ort nicht ersetzen. Aber zwischendurch oder in aussergewöhnlichen Zeiten sind sie eine gute Möglichkeit für die Leseförderung.»

Stephan Sigg